Patrice Poutrus, * 1961, Ost-Berlin, DDR

Der Historiker Patrice G. Poutrus spricht über die Veränderungen, die Mauerfall und Wiedervereinigung für die politische Kultur in der Bundesrepublik bedeuteten.

Innerhalb weniger Wochen entsteht nach dem Mauerfall eine deutsch-deutsche Dynamik, die sich schnell zu einem Einheitsnationalismus entwickelt. Während Helmut Kohl im November noch zurückhaltend auf die Ereignisse in der DDR reagierte, verkündet er in seiner Dresdener Rede im Dezember 1989 unter „Deutschland einig Vaterland“-Rufen offensiv das Ziel der Wiedervereinigung. Mit der Wiedervereinigung verändern sich die politischen Kräfteverhältnisse. Forderungen nach einer stärkeren Abschottung gewinnen überall Mehrheiten. Im Jahr 1993 wird das Asylrecht verschärft.

Den gesamtgesellschaftlichen Diskurs über die Gewalt nach der Wiedervereinigung sieht Poutrus als Fortsetzung der Tabuisierung rassistischer Gewalt in der DDR. Am Beispiel des Pogroms in Hoyerswerda 1991 führt er aus, dass Rassismus nicht benannt, Täter*innenperspektiven ins Zentrum der medialen Aufmerksamkeit gestellt werden. Rassistische Gewalt in West- und Ostdeutschland wird normalisiert, rechtsradikale politische Positionen werden zu legitimen Äußerungen im politischen Spektrum.

Einen kritischen Blick wirft Poutrus auf gegenwärtige Debatten um eine gemeinsam geteilte ostdeutsche Erfahrung nach der Wiedervereinigung, aus der die Gewalterfahrungen von Vertragsarbeiter*innen ausgeschlossen bleiben.